Wer die Wahl hat, … muss sich entscheiden. Es ist so banal: Wenn ich rechts gehe, kann ich mich nicht nach links bewegen. Umgekehrt klappt das ebenfalls nicht. Wenn ich einen Apfel esse, nehme ich keine Pizza zu mir. Daher muss ich mir aussuchen, was ich tun will. Oder aus welchem Grund ich nichts mache. Und jetzt?
Ich wollte mich wirklich benehmen. Aber es gab so viele andere Optionen.
So unterschiedlich wie die Schrift auf dem T-Shirt eines Schülers sind jene in der SMS, die sich dort Tag für Tag begegnen. Lernenden, Lehrenden und Mitarbeitenden geht es so. Keiner kann aus ihrer oder seiner Haut heraus. Denn Tag für Tag muss ich wählen. Entscheidungen treffen. Das eine vorziehen und anderes dafür lassen. Mich für eine Option entschließen. Handeln. Oder auch nicht.
„FSA“ – „Freies selbstgesteuertes Arbeiten“. Eine Abkürzung, die Kindern schon in den 5. Klassen in der St. Mauritius-Sekundarschule begegnet. Anders als im „regulären“ Unterricht besteht dabei die Möglichkeit, in einer vorgegebenen Zeit eigenständig etwas zu erarbeiten. Allein oder mit anderen. „Den Lernenden wird Verantwortung bei der relativ freien Wahl der Arbeitsthemen, der Arbeitsformen und der individuellen Zeiteinteilung zugesprochen.“ So heißt es auf der Internetseite der SMS. Und weiter: „Die Lehrkraft steht nicht zentral im Unterrichtsgeschehen. Sie hat Ressourcen zur Beobachtung der Lernprozesse. … Subsidiär berät sie die Lernenden.“ Deutsch kann so schön sein. FSA auch.
Ich wollte mich wirklich benehmen. Aber es gab so viele andere Optionen.
„Das klappt ja doch nicht!“ „Die Schüler machen alles andere bei FSA. Nur nicht lernen. Oder an einem Thema arbeiten.“ „Vergessen Sie’s! Die tun doch nur, so als ob: Wenn sie am Computer sitzen, zocken sie. Sobald der Lehrer kommt, drücken sie ein paar Tasten und eine unverfängliche Website taucht auf dem Bildschirm auf!“ Negative Stimmen von Müttern und Vätern zu FSA. Es ist richtig: Nicht alle Schülerinnen und Schüler kommen mit der Freiheit zurecht, die sie bei dieser Lernform haben. Manchen fehlt die Lust dazu. Andere haben den Kopf voll. Mit vielem, was mit Unterricht wenig oder gar nichts mehr zu tun hat. Also ist FSA eine Überforderung? Nicht umsetzbar? Etwas allzu Theoretisches also. Erdacht und entwickelt von Reformpädagogen. Von Menschen, die von der tatsächlichen Praxis im Schulalltag keine Ahnung haben? „Hilf mir, es selbst zu tun!“ Ein weiteres, wichtiges Grundprinzip, das wir umzusetzen versuchen.
Darf ich denn nicht schon Kindern zutrauen, dass sie lernen können, was sie tun oder was sie lassen? Dass sie es aus freien Stücken selbständig machen?! Nicht, weil andere es wollen. Es von ihnen erwarten. Oder sie dazu nötigen.
„Andere Optionen“ gibt es zuhauf. Ablenkungen. Gegebenheiten, die dazu beitragen, dass ein gesetztes Ziel in weite Ferne rückt. Weil anderes viel wesentlicher scheint. Es aber in Wirklichkeit nicht ist. Dem kann sich niemand entziehen: Jede und jeder muss lernen, wann auch immer, mit der Freiheit umzugehen, die sie oder er hat. Leicht ist das nicht. Nicht nur in der Schule.
Ich wollte mich wirklich benehmen. Aber es gab so viele andere Optionen.
Wer die Wahl hat, muss sich entscheiden. Abwarten oder andere machen lassen, führt nicht weiter. Mich herauszureden, dass ich nicht wisse, was das für mich momentan Richtige ist, greift ebenfalls zu kurz. Denn wer wagt, gewinnt! Mich fasziniert immer noch und immer wieder, was Menschen erreichen können, wenn sie etwas tatsächlich wollen. Das ist bei mir selbst nicht anders. Wenngleich es eine Fülle von Wahlmöglichkeiten gibt: Ich darf mich auf etwas festlegen. Mich dafür entscheiden. Oder dagegen. Nicht immer ist das richtig. Manchmal im Nachhinein sogar falsch. Doch weil und wenn ich „so viele andere Optionen“ habe: Aus freien Stücken wählen, ob ich mich darauf einlasse. Beim FSA in der SMS und anderswo.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger